Vernetzung ist wichtig, manchmal sogar überlebensnotwendig

Ein Gespräch mit Franz Witzmann, die Fragen stellte Alexandra Eichenauer-Knoll

Lieber Franz, heute ist der 7. November 2021 und wir möchten ein Gespräch darüber führen, wie es im Comedor derzeit läuft, vor allem, welche Auswirkungen die Übernahme der Taliban auf die Menschen hier in Hainfeld hat. Außerdem möchten wir über deine Vernetzungsaktivitäten sprechen. Zum Einstieg, wie geht es im Comedor del Arte bei der Arbeit?
Franz: Im Comedor wird wieder fünf Tage die Woche Hilfe bei Hausübungen angeboten, drei Stunden am Nachmittag, meist für zehn Kinder und mehr. Schön ist, dass im September noch die Veronika dazugekommen ist. Sie stand eines Tages vor der Tür, weil sie es in der Zeitung gelesen hatte. Sie blieb dann gleich drei Stunden da und mittlerweile kommt sie 1 – 2 Mal die Woche vorbei. Sie ist ein herzlicher Mensch, strahlt große Ruhe aus, die Kinder lieben sie. Sie hat einen lieben Kuschelhund, der gerne von den Kindern gestreichelt wird. Auch die Renate kommt weiterhin zweimal pro Woche und unterstützt mich. Sie ist eine gute Freundin geworden.

Unlängst hat dich Renate, zusammen mit Mohammad und Ainullah, ins Burgenland begleitet. Wohin ging es da?
Am 31.10. fuhren wir zu der Matinée „Mut zur Menschlichkeit“, organisiert von Courage (https://www.courage.jetzt/). Es war in Andau an der ungarischen Grenze, ein geschichtsträchtiger Ort, wo auch 1956 Großes geleistet wurde, und auch 2015 war dieser Ort in der Flüchtlingshilfe sehr aktiv. Das Motto war für mich: 2015 darf sich nicht wiederholen. (siehe Foto unten)

Warum soll sich 2015 nicht wiederholen, da war doch die Zivilgesellschaft sehr aktiv?
Ja. Aber was sich nicht wiederholen soll, ist die Unfähigkeit oder der Unwillen der Regierenden und der Verantwortlichen, die das erst notwendig gemacht haben, dass die Zivilgesellschaft aktiv wird, damit die Menschen die grundlegendste Hilfe bekommen. Diese Veranstaltung war sehr berührend, es wurden Preise an couragierte Menschen vergeben, u. a. an Andreas Babler, den Bürgermeister von Traiskirchen, an Doro Blancke, die schon über ein Jahr lang mit ihrer Organisation in Griechenland Hilfe leistet, auch SOS-Balkanroute hat diesen Preis verliehen bekommen. Es sind Menschen, die helfen, wenn Leute an den Grenzen zurückgeprügelt werden, die ihnen wenigstens etwas Hilfe und Menschenwürde angedeihen lassen. Es war sehr berührend, mit diesen engagierten Menschen in einem Raum zu sein. Solche Veranstaltungen sind für mich schon sehr motivierend, man hat das Gefühl nicht alleine zu sein, es gibt Kraft für die täglichen Herausforderungen. Durch die Vernetzung, die durch die letzten sechs Jahre sehr intensiv geworden ist, von Asylkoordination bis SOS-Balkanroute, bin ich mit vielen schon in persönlichem Kontakt gewesen, man kann sich gegenseitig auch helfen, das hat sich jetzt auch in Afghanistan bewährt. Ich konnte über einen solchen Vernetzungskontakt, in diesem Fall die „Grenzenlose Hilfe Kremsmünster“ (https://www.grenzenlosehilfe-kremsmünster.at/), sogar einen Arzt für den in Kabul lebenden Bruder einer in Hainfeld lebenden Frau organisieren.

Ein zweites Vernetzungstreffen am 27.11. findet in Wien statt, organisiert von Menschen.Würde.Österreich. Da wirst du auch wieder hingehen. Es wird dort vor allem um Afghanistan gehen.
Ja, wir waren bisher bei fast allen Veranstaltungen von Menschen.Würde.Österreich (https://www.mwoe.at/) dabei, da kommen kompetente Leute aus verschiedensten Bereichen, man kann immer wieder etwas Neues erfahren. Gegen die Ohnmacht, die einen so oft überfällt bei den grausamen Dingen, die auf diesem Planeten passieren, hilft nur aktives, zielgerichtetes Tun.
Zurückkommend auf die Situation in Afghanistan. Ende August haben die Taliban die Macht übernommen, das hat verschiedene Auswirkungen. Auf der einen Seite wurden Leute aus der Schubhaft freigelassen. Deportationen sind nicht möglich, auch nicht von Österreich aus, und die Menschen, die noch ausständige Bescheide hatten, bekommen zumindest derzeit subsidiären Schutz. Das ist ein Vorteil für die Menschen, die hier noch auf Entscheidungen warten. Das andere ist: Alle, die dort noch Familie haben und etwas älter sind, also noch die erste Talibanherrschaft bis 2000 miterlebt haben, werden jetzt retraumatisiert und bangen um ihre Familien, überhaupt, wenn sie Hazara sind. Es ist lähmend, sie sind in Sicherheit, aber ihre Familie kann sich nur mehr verstecken. Wir haben einen Fall, wo die Schwestern studiert haben und sich jetzt nur verstecken können. Die Menschen leiden hier mit. Jetzt kommen Geschichten, zB von jemanden, der als Kind erlebt hat, wie Kinder von den Taliban geschlagen wurden, wie auf der Straße ermordete Menschen lagen oder auf der Kreuzung ein Erhängter eine Woche lang hing und es nach Verwesung roch. Die Menschen hier sehen so deutlich, was ihre Angehörigen und Freunde jetzt erleben.

Gibt es überhaupt einen hoffnungsvollen Ausblick? Schritt für Schritt weitertun?
Ich habe auf jeden Fall einen hoffnungsvollen Ausblick. Solange man aktiv sein und etwas tun kann, irgendwo helfen. Gestern rief mich ein Mädchen an, sie verstand die Fragen für die Schule nicht, wir sind das durchgegangen. Die ganze Woche kommen Kinder und ich kann sie beim Lernen unterstützen. Und ich kann auch, solange ich Kraft haben, den Menschen Kraft geben. Das Wichtigste ist weiterzuleben und zu schauen, ob man etwas für die Familie machen kann, dass sie irgendwo Asyl bekommen. Gesamtpolitisch ist es aber schrecklich, dass es in Ländern wie Afghanistan und Syrien so gewaltsam und mörderisch ist. In Afghanistan wird die Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, auf ein paar Quadratmeter in der Wohnung reduziert, sie dürfen nicht leben.

Es ist eine Grenzwanderung, auf der einen Seite informiert zu bleiben, andererseits eine Distanz zu halten, damit einen das nicht auffrisst. Ich halte mich an dem fest: Ich kann nicht für die ganze Welt etwas machen, aber da, wo ich bin, kann ich etwas tun. Ich bin mit vielen Menschen verbunden, die verteilt sind und mich auf dem Laufenden halten. Es ist immer wieder sehr berührend, wenn Leute uns noch immer sehr verbunden sind, die zB vor fünf Jahren in Hainfeld gewesen sind. Viele bedanken sich auch, weil ich den Kindern helfe. Viele nehmen Anteil daran. Das sind die Dinge, die auch Kraft geben und Motivation dafür weiterzutun.

Danke für das Gespräch!

31.10. Matinée „Mut zur Menschlichkeit“, v. l. Mohammad Ahmadi, Franz Witzmann, Renate Höfler und Ainullah Islami