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Mitgefühl statt Hartherzigkeit

Angesichts der dramatischen Ereignisse in Afghanistan hat die Asylkoordination heute ein Forderungspapier präsentiert. Wir verbreiten und unterstützen diese Forderungen gerne. Denn wir bangen mit unseren Freunden und schämen uns für die offiziell postulierte Hartherzigkeit. 2015 war erstens kein Fehler und kann sich zweites auch so nicht wiederholen. Afghanen als Volksgruppe generell zu kriminalisieren und ihnen mangelnde Integrationsbereitschaft zu unterstellen, schmerzt uns und entspricht auch nicht unseren persönlich erlebten Erfahrungen.

Daher unterstützen wir das Forderungspapier der Asylkoordination
 www.asyl.at/solidarischmitafghanistan/

Von der Website der Asylkoordination Österreich

Solidarisch mit bedrohten Afghan*innen: Österreich kann und muss jetzt Menschenleben retten!

Vier-Punkte-Maßnahmenprogramm für die Bundesregierung:

Sofortige Evakuierung von Familienangehörigen, Start von humanitärem Aufnahmeprogramm, Beendigung von Abschiebmaßnahmen sowie rasche Schutzgewährungen.
Die österreichische Regierung darf die akute Bedrohung von Menschenleben durch die Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban Afghanistan nicht länger ignorieren und muss ihren Teil bei der Rettung und Aufnahme von gefährdeten Personen aus Afghanistan beitragen. Viele Menschen aus Afghanistan, die in Österreich Schutz gefunden haben und seit vielen Jahren hier leben, fürchten heute um ihre Geschwister oder Eltern. Sie versuchen gemeinsam mit österreichischen Freund*innen verzweifelt, diesen beizustehen und sie zu retten. Diese Menschen sind Teil der österreichischen Gesellschaft und brauchen die konkrete Unterstützung der Bundesregierung.

Daher rufen wir die Bundesregierung eindringlich dazu auf, raschestmöglich folgende vier Maßnahmen umzusetzen:

1. Sofortige Evakuierung aus dem Krisengebiet
Die zaghaft anlaufenden Evakuierungsbemühungen für österreichische Staatsbürger*innen und Personen mit aufrechter Aufenthaltsberechtigung in Österreich müssen auf Familienangehörige von hier lebenden Afghan*innen ausgedehnt werden. Insbesondere bereits laufende Familienzusammenführungen müssen umgehend abgeschlossen und die Betroffenen auch mit der Hilfe anderer EU-Staaten aus Afghanistan evakuiert werden. Familienzusammenführungen müssen den dramatisch ungewissen Umständen entsprechend unbürokratisch und zügig abgewickelt werden. Dazu braucht es auch eine Aufstockung des Botschaftspersonals in Islamabad und Teheran. Österreich sollte sich darüber hinaus, wie zum Beispiel Frankreich und andere westliche Staaten, für Menschen einsetzen, die mutig für in Europa hochgehaltene Werte wie Gleichberechtigung und Pressefreiheit eingetreten sind.

2. Humanitäres Aufnahmeprogramm
Wir fordern die Einrichtung eines humanitären Aufnahmeprogramms (HAP-Afghanistan) für besonders vulnerable Personen und solche, die nahe Verwandte in Österreich haben. Es muss eine zentrale Stelle eingerichtet werden, bei der Anträge eingebracht werden können. Österreichs humanitäre Aufnahmeprogramme (HAP I-III) für syrische Schutzsuchende zwischen 2013 und 2017 waren Vorzeigeprojekte, bei denen öffentliche Stellen, internationale Organisationen und die österreichische Zivilgesellschaft vorbildhaft zusammengearbeitet haben. Auf diese Erfahrungen kann zurückgegriffen und aufgebaut werden. Eine entsprechende Infrastruktur könnte daher in wenigen Wochen hochgefahren werden.

3. Abschiebevorbereitungen sofort stoppen.
Alle Afghan*innen, die sich zurzeit in Österreich befinden, haben Anspruch auf internationalen Schutz. Angesichts der Tatsache, dass Abschiebungen nach Afghanistan durch die Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban und deren Verfolgungshandlungen gegen religiöse und ethnische Minderheiten und politisch Andersdenkende für absehbare Zeit nicht durchgeführt werden können, fordern wir die umgehende Einstellung sämtlicher Abschiebevorbereitungen. Schubhaft ist keine Strafhaft. Menschen, die nicht abgeschoben werden können, in Haft zu behalten stellt eine rechtswidrige Freiheitsentziehung dar. Mit dem hohen Gut der persönlichen Freiheit muss der Staat äußerst sorgsam umgehen.

4. Rasche Schutzgewährung
In den Asylverfahren muss der grundlegend geänderten Situation Rechnung getragen werden. Schutzsuchende, die zum Teil jahrelang auf den Ausgang ihrer Asylverfahren warten, müssen jetzt endlich internationalen Schutz erhalten. Auch Folgeanträge und neue Verfahren sollen nicht verzögert, sondern – auch im Sinne einer raschen Integration – zügig durchgeführt werden.

Greif nach den Sternen, Schwester

Greif nach den Sternen, Schwester – so lautet der Buchtitel der Lebensgeschichte von Latifa Nabizada, die von der Journalistin und Nahost-Expertin Andrea C. Hoffmann in Ichform niedergeschrieben worden ist. Ich habe dieses Buch “verschlungen“ wie selten eines. Daher möchte ich diesen Blog nutzen und es weiter empfehlen. Denn es gibt einige sehr gute Gründe, das Buch von Latifa Nabizada zu lesen.

Die Geschichte erzählt das Leben einer sehr außergewöhnlichen Frau. Latifa Nabizada schloss gemeinsam mit ihrer Schwester als erste Frau Afghanistans die Ausbildung zur Hubschrauberpilotin ab. Wie sich ein solcher Weg für eine Frau in einer traditionell sehr patriachalischen Gesellschaft trotz aller Widrigkeiten gestalten lässt, wie sie immer wieder kämpfte und unkonventionelle Lösungen fand, um Kind, Haushalt und diesen Extremjob zu bewältigen, lässt mich nur staunen. Ihr Selbstbewusstsein als Frau und ihr Streben nach Gleichberechtigung unter schwierigsten Umständen ist gerade für eine westliche Frau wie mich, die viel mehr Freiheiten mit großer Selbstverständlichkeit genießt, vorbildlich.

Die Geschichte beginnt zur Zeit der sowjetischen Besatzung, beschreibt weiter die Mudschaheddin-Regierung und die Taliban-Machtübernahme und endet 2014, als sich die USA nach 13-jährigem Kampfeinsatz aus Afghanistan zurückzogen. Das Buch hat für mich die historischen Abläufe der letzten 40 Jahre in Afghanistan etwas klarer werden lassen, speziell die politischen Übergänge und die damit verbundene jeweilige Problematik in dieser auch innerafghanisch so zersplitterten Gesellschaft.

Die Lebensgeschichte dieser außergewöhnlich mutigen Frau ist einzigartig und ähnelt doch in Details zahlreichen mir inzwischen schon bekannte Erzählungen von Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind. Latifa Nabizada war schon als Pilotin ein Star gewesen, durch die Herausgabe dieses Buches im Jahre 2014, das auch in Afghanistan gelesen wurde und aufgrund ihrer engagierten Arbeit als Leiterin der Abteilung für Menschenrechte und Genderpolitik im Verteidigungsministerium machte sie sich aber zu einem ganz besonderen Angriffsziel der Taliban. Das Gefühl der dauernden Bespitzelung, wem ist eigentlich zu trauen?, das Erhalten von Drohbriefen bis zum Erstürmen des eigenen Wohnhauses durch Taliban, die zunehmende Rechtsunsicherheit, all das lässt sich in ihrem Buch gut nachfühlen.
Auch in Hainfeld lebten oder leben einige gebürtige Afghanen, die in irgendeiner Form für die westlichen Truppen oder UNO-Programme gearbeitet haben – sei es als Bewacher, Polizisten, Dolmetscher, Ärzte, Schauspieler oder einfach nur Gastgeber – und dadurch auf die Abschusslisten der Taliban geraten waren. Mit diesem Buch kann ich ihre Geschichte nun auch ein Stück weit besser nachvollziehen.

Heute lebt Latifa Nabizada in Österreich und hofft auf einen positiven Asylbescheid. 2016 glückte ihr auf Einladung des österreichischen PEN-Clubs gemeinsam mit ihrer Tochter die Flucht. Sie ist sich sicher, dass sie in Afghanistan inzwischen nicht mehr am Leben wäre. Im Zuge des Abzugs der amerikanischen Truppen wurde die Bedrohung durch die Taliban immer massiver und brachte nicht nur sie, sondern auch ihre ganze Großfamilie in eine prekäre Sicherheitslage. Den Frieden und die Sicherheit in Österreich empfindet sie als großen Luxus. Einfach sein Kind in die Schule schicken können ohne dabei Ängste ausstehen zu müssen…

Ich empfehle jedem/jeder, der/die sich speziell für Menschen aus Afghanistan interessiert, dieses Buch zu lesen. Es ist kurzweilig und leicht verständlich geschrieben – und es erzählt uns viel mehr als nur eine einzige Lebensgeschichte.

 Alexandra Eichenauer-Knoll