Greif nach den Sternen, Schwester – so lautet der Buchtitel der Lebensgeschichte von Latifa Nabizada, die von der Journalistin und Nahost-Expertin Andrea C. Hoffmann in Ichform niedergeschrieben worden ist. Ich habe dieses Buch “verschlungen“ wie selten eines. Daher möchte ich diesen Blog nutzen und es weiter empfehlen. Denn es gibt einige sehr gute Gründe, das Buch von Latifa Nabizada zu lesen.
Die Geschichte erzählt das Leben einer sehr außergewöhnlichen Frau. Latifa Nabizada schloss gemeinsam mit ihrer Schwester als erste Frau Afghanistans die Ausbildung zur Hubschrauberpilotin ab. Wie sich ein solcher Weg für eine Frau in einer traditionell sehr patriachalischen Gesellschaft trotz aller Widrigkeiten gestalten lässt, wie sie immer wieder kämpfte und unkonventionelle Lösungen fand, um Kind, Haushalt und diesen Extremjob zu bewältigen, lässt mich nur staunen. Ihr Selbstbewusstsein als Frau und ihr Streben nach Gleichberechtigung unter schwierigsten Umständen ist gerade für eine westliche Frau wie mich, die viel mehr Freiheiten mit großer Selbstverständlichkeit genießt, vorbildlich.
Die Geschichte beginnt zur Zeit der sowjetischen Besatzung, beschreibt weiter die Mudschaheddin-Regierung und die Taliban-Machtübernahme und endet 2014, als sich die USA nach 13-jährigem Kampfeinsatz aus Afghanistan zurückzogen. Das Buch hat für mich die historischen Abläufe der letzten 40 Jahre in Afghanistan etwas klarer werden lassen, speziell die politischen Übergänge und die damit verbundene jeweilige Problematik in dieser auch innerafghanisch so zersplitterten Gesellschaft.
Die Lebensgeschichte dieser außergewöhnlich mutigen Frau ist einzigartig und ähnelt doch in Details zahlreichen mir inzwischen schon bekannte Erzählungen von Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind. Latifa Nabizada war schon als Pilotin ein Star gewesen, durch die Herausgabe dieses Buches im Jahre 2014, das auch in Afghanistan gelesen wurde und aufgrund ihrer engagierten Arbeit als Leiterin der Abteilung für Menschenrechte und Genderpolitik im Verteidigungsministerium machte sie sich aber zu einem ganz besonderen Angriffsziel der Taliban. Das Gefühl der dauernden Bespitzelung, wem ist eigentlich zu trauen?, das Erhalten von Drohbriefen bis zum Erstürmen des eigenen Wohnhauses durch Taliban, die zunehmende Rechtsunsicherheit, all das lässt sich in ihrem Buch gut nachfühlen.
Auch in Hainfeld lebten oder leben einige gebürtige Afghanen, die in irgendeiner Form für die westlichen Truppen oder UNO-Programme gearbeitet haben – sei es als Bewacher, Polizisten, Dolmetscher, Ärzte, Schauspieler oder einfach nur Gastgeber – und dadurch auf die Abschusslisten der Taliban geraten waren. Mit diesem Buch kann ich ihre Geschichte nun auch ein Stück weit besser nachvollziehen.
Heute lebt Latifa Nabizada in Österreich und hofft auf einen positiven Asylbescheid. 2016 glückte ihr auf Einladung des österreichischen PEN-Clubs gemeinsam mit ihrer Tochter die Flucht. Sie ist sich sicher, dass sie in Afghanistan inzwischen nicht mehr am Leben wäre. Im Zuge des Abzugs der amerikanischen Truppen wurde die Bedrohung durch die Taliban immer massiver und brachte nicht nur sie, sondern auch ihre ganze Großfamilie in eine prekäre Sicherheitslage. Den Frieden und die Sicherheit in Österreich empfindet sie als großen Luxus. Einfach sein Kind in die Schule schicken können ohne dabei Ängste ausstehen zu müssen…
Ich empfehle jedem/jeder, der/die sich speziell für Menschen aus Afghanistan interessiert, dieses Buch zu lesen. Es ist kurzweilig und leicht verständlich geschrieben – und es erzählt uns viel mehr als nur eine einzige Lebensgeschichte.
Alexandra Eichenauer-Knoll