(Deutsch) Rück- und Ausblicke mit Herzverstand

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Franz Witzmann, Leiter des Comedor del Arte, im Gespräch mit Alexandra Eichenauer-Knoll. Das Gespräch wurde am 4.12.2020 aufgenommen.

Es ist als Audiofile nachzuhören

 

und hier kann man es nachlesen:

Lieber Franz, heute ist der 4.12.2020, wir stehen knapp vor einer Lockerung des 2. Lockdowns. Wie geht es im Comedor zu? Was ist alles passiert? Ich habe mit Renate Höfler schon gesprochen, sie hat mir erzählt, wie gut die Kinderbetreuung im September und Oktober funktioniert hat. Der nächste Lockdown ist dann wieder dazwischengekommen. Was ich mich dabei gefragt habe: Wie war es möglich, dass ohne jegliche Werbung am ersten Schultag so viele Kinder vor dem Comedor gestanden sind?

Franz: Im Sommer bin ich immer wieder gefragt worden, wann wieder der Betrieb losgeht, ich habe dann irgendwann gesagt, dass ich am Nachmittag (ab Herbst) wieder Hausaufgabenbetreuung machen will. Offensichtlich dürften die Familien und die Kinder sich untereinander verständigt haben, weil am ersten Schultag waren plötzlich 16 Kinder da und alle wollten Hilfe bei Hausübungen. Dieses Schuljahr hat ja am ersten Tag mit Schulaufgaben angefangen. Bis dato war die erste Woche etwas lockerer und weniger Hauübungen, aber diesmal sind sie gleich am ersten Tag losgestartet.
Ich habe dann bald die Nachmittagsbetreuung von 2 auf 3 Stunden ausgeweitet, weil so ein großer Bedarf war. Es hat sich dann eingependelt, manche Kinder sind um 14 Uhr, andere um 15 Uhr gekommen, sodass nicht so viele gleichzeitig in den Räumen waren.

Jetzt im Lockdown 2 war das nicht mehr möglich, aber du hast den Kindern gesagt, sie können dich anrufen und du hast es dann in Einzelbetreuung gelöst.
Wie wir erfahren haben, es kommt wieder ein Lockdown, habe ich den Kindern am letzten Tag noch Visitenkarten mitgegeben und gesagt, wenn sie Hilfe brauchen, können wir uns treffen, auch wenn der Comedor geschlossen ist. Das Angebot ist während des ganzen Lockdowns hauptsächlich von zwei Familien im Ort sehr regelmäßig genutzt worden.

Du hast in unserem Brief an die Mitglieder ein Heraklith-Zitat verwendet, sinngemäß heißt es: Das einzig Beständige ist die Veränderung. Wie können sich Leute, die nicht laufend unsere Aktivitäten beobachten, das vorstellen – heute geht es um viele Kinder, die Hausaufgabenbegleitung brauchen, vor fünf Jahren saßen vor allem Erwachsene da, die versucht haben das Alphabeth zu erlernen.
2016, als wir gestartet haben, war ein Hauptmotiv, oder ein wichtiger Punkt im Comedor del Arte, dass Menschen Grundbegriffe der deutschen Sprache lernen wollten, da war ein großer Zuspruch, weil auch ca. 120 Menschen im Asylverfahren in Hainfeld in Unterkünften untergebracht waren. Die Anforderungen haben sich immer wieder verändert, aber die Deutschkurse sind geblieben. Ich hatte vor dem ersten Lockdown einen A1-Kurs laufen, den haben wir dann abbrechen müssen. Die beiden Schüler, eine Schülerin und ein Schüler, haben übrigens selbstständig weitergelernt und dann die A1-Prüfung positiv bestanden.
Es kommen jetzt Kinder von Familien zu uns, die im Ort geblieben sind, aber auch Kinder aus Familien, die nicht als Geflüchtete gekommen sind, die einfach aus anderen Ländern zugezogen sind, z. B. Rumänien, Ungarn oder Ägypten, die hier arbeiten oder einen Betrieb haben, und deren Kinder Lernunterstützung benötigen. Von denen ist das auch schon 2019 in Anspruch genommen worden ist, aber nie so stark wie jetzt seit September.

Offensichtlich hat sich da auch eine Botschaft rumgesprochen – der Franz hilft den Kindern. War das vorher nicht so klar? War es auch der Lockdown, der ihnen bewusst gemacht hat, sie brauchen mehr Hilfe bei den Hausaufgaben?
Geflüchtete Menschen sind ja auch untereinander in Kontakt, und da passieren viele Dinge, die man nicht mitbekommt. Und das andere ist auch, dass mich – seit einem Jahr ungefähr – vermehrt die Eltern kontaktieren, weil sie wissen, es gibt den Comedor, weil sie das irgendwo erfahren haben. Und sie fragen: Können die Kinder kommen? Z. B. eine tschetschenische Familie aus der Nachbarortschaft, wo die Eltern sehr bemüht sind und die sich sogar vorstellen gekommen sind. Aber auch andere Familien gibt es, wo die Eltern vorher gefragt haben, wie das abläuft.

Jetzt sind es vor allem die Kinder, die dich brauchen. Aber die Comedor-Familie umfasst viel mehr Menschen als die, die jetzt gerade da sind. Es gibt Menschen, die noch in Hainfeld leben, aber nicht mehr in die Kurse kommen, dich aber vielleicht für anderes brauchen. Es gibt Menschen, die sind weggezogen, es gibt Menschen, die mussten weiterflüchten. Und zu vielen von denen, die nach wie vor in Schwierigkeiten stecken, hast du auch noch Kontakt. Menschen, die noch immer keinen Status haben, der ihnen ein gutes Leben ermöglicht.
Das sind verschiedenen Stränge. In Hainfeld sind zurzeit nicht mehr so viele Leute im Asylverfahren. Es sind noch zwei afghanische Familien da, die schon jahrelang auf ihre Entscheidung warten, deren Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen. Es sind aber auch einige Menschen mit einem positiven Bescheid in Hainfeld geblieben, weil sie sagen, es ist so schön hier, es ist gut für Kinder, man hat alles, es ist ruhig. Diese Leute benötigen auch verschiedenste Unterstützung, z. B. ein Vater ist sehr fleißig, arbeitet, hat sogar einen zweiten Job, damit er genug verdient, und hat immer wieder Fragen, weil er Post bekommt vom Finanzamt oder von der Krankenkasse, oder er hat ein Auto und braucht dafür einen Abstellplatz. Bei solchen Sachen unterstütze ich ihn dann. Ich telefoniere z. B. mit dem Finanzamt und so können wir Dinge lösen ohne dass größere Probleme entstehen, wie z. B. Mahnspesen. Dann gibt es z. B. einen Arzt, dem ich bei der Vorbereitung zur C1 Prüfung geholfen habe. Oder wir haben zwei junge Männer, einer hat bereits Asyl bekommen, der andere leider noch nicht, obwohl er auch schon 5 Jahre auf die Entscheidung wartet, vor 2 Jahren, glaube ich, war das Gerichtsverfahren. Sie machen jetzt eine Krankenpflegerausbildung. Da unterstütze ich auch immer wieder, z. B ich korrigiere ihnen die Texte oder wir lernen gemeinsam.
Und dann gibt es auch Menschen, die waren eine Zeitlang in Hainfeld und waren aktiv im Comedor, wodurch sich ein freundschaftliches Naheverhältnis entwickelt hat. Ein junger Afghane z. B.  ist dann, nachdem er in Österreich abgelehnt worden ist, nach Deutschland gegangen, lebt jetzt in der Nähe von Hamburg. Mit ihm bin ich noch unregelmäßig über Internet in Kontakt. Ein anderes Schicksal ist ein junger Iraner, der auch weggegangen ist, dann in Calais gelebt hat, wieder zurückgekommen ist, wieder in Traiskirchen war und dann freiwillig zurückgegangen ist in den Iran. Mit ihm bin ich auch in Kontakt, er hat glücklicherweise bis jetzt keine Verfolgungshandlungen erfahren. Es gibt aber auch andere, wie ein Familie, die noch immer in Österreich im Verfahren sind, von einem Lager ins andere geschoben werden, mit einem autistischen Kind, das schon 8 Jahre alt ist und das letztes Jahr keine Schule besuchten dufte und sein Therapien nicht mehr bekommen hat. Da haben wir dann urgiert, damals waren sie in Oberösterreich, mit einem Landesrat und einer Abgeordneten Kontakt aufgenommen. Daraufhin sind sie nach Graz verlegt worden und jetzt endlich kann der Bub eine Schule besuchen, die spezialisiert ist auf Autisten und er macht sehr große Fortschritte. Das sind dann kleine Erfolge. Diese Familie unterstützen wir, mit Dasein, mit Besuchen und auch mit finanzieller Unterstützung.

Wenn wir schon beim Geld sind, wie ist es denn mit den Finanzen des Vereins Herzverstand, der ja gegründet worden ist, um den Comedor del Arte zu unterstützen und eine Struktur für Fördergeber zu sein.
Ja, um das ein bissl klarer zu bringen möchte ich etwas ausholen: Gestartet ist der Comedor del Arte während des Sozialfestivals „Tu was, dann tut sich was“. Wir haben eine Förderung bekommen für das erste Jahr, um die Miete zu bezahlen. Dann ist die Leader-Region Mostviertel-Mitte an uns herangetreten, wir sind ein gutes Projekt und sollten ansuchen, damit wir als Leader-Projekt gefördert werden. Beim Sozialfestival war eine Bedingung, dass die Räumlichkeiten auf meinen Namen gemietet werden, für das Leader-Projekt war es notwendig, dass es einen Verein gibt, der das Haus mietet. Wir haben den Verein gegründet und den Mietvertrag umgeschrieben und sind für 3 Jahre als Leader-Projekt gefördert worden. Wir haben vom Tu-was Festival auch noch Geld bekommen, das war dann sowas wie die Eigenkapitalreserve für die letzten Jahre. Dadurch konnten wir laufende Kosten, Miete und Pellets bestreiten. Wir sind sehr aufmerksam mit dem Geld umgegangen. Die Leader-Förderung ist 2019 ausgelaufen, wir haben aber so viele Finanzmittel gehabt, dass wir bis Frühling 2021 ohne Zusatzmittel auskommen können. Die Sparkassenstiftung hat den Verein übrigens auch unterstützt.
Die letzten Fördergelder kamen also 2019, und der Plan war, mit dieser Kapitalreserve und mit Veranstaltungen noch Geld zu bekommen, auch Mitgliedsbeiträge zu lukrieren und noch mehr Mitglieder zu finden, damit wir uns breiter aufstellen und uns autonom ohne Fördergeber finanzieren können. Die Pandemie und der Lockdown haben natürlich alles verändert, wir konnten keine Veranstaltungen und keine Märkte machen. Unser Budget reicht jetzt noch soweit, dass wir die Miete für März 2021 bezahlen können.

Die Einnahmen aus den Märkten werden nicht das ganze Budget abdecken. Das sage ich jetzt, weil ich mit den Märkten auch viel zu tun hatte: Für die Basteleien und Nähereien brauchen wir Leute, die motiviert sind uns zu unterstützen. Die Situation ist jetzt anders als noch vor ein paar Jahren. Wir haben jetzt keine Leute mehr, die wir beschäftigen möchten, auch um ihnen psychische Stabilität zu geben, sondern wir haben Familien, die ohnehin sehr beschäftigt sind damit im Leben anzukommen. Wir haben auch keine Näherinnen und Näher, wie z. B. unseren Ali, mehr vor Ort, die sehr schnell waren. Es ist also viel schwieriger geworden, Produkte überhaupt zu erzeugen.
Ja, das ist eine Folge der Veränderungen, mit denen wir zurechtkommen müssen. Solange relativ viele Menschen im Asylverfahren hier waren, war es eigentlich kein Problem, etwas zu organisieren. Wir hatten ein paar sehr verlässliche Leute, die überall dabei waren. Ich habe mit einem Ansprechpartner gesprochen, ich habe z. B. gesagt wir machen ein Fest und brauchen ein Küchenteam – und das Küchenteam war da!
Diese Leute haben zum Glück tw. Asyl bekommen und dann stehen ganz andere Dinge an, sie müssen arbeiten, Deutschkurse machen, für die Familie sorgen, Wohnungen finden oder sie sind irgendwo in einer Ausbildung. Dann müssen sie lernen und haben auch nicht mehr die Zeit, sich im Comedor einzubringen und Dinge zu basteln, die man verkaufen kann.

Was man in diesem Zusammenhang erwähnen kann, ist ein Selbstläufer, den es auch gibt. Das ist das Projekt „1000 taschen“ von Kathrin Mayer, die jetzt 1000 Masken produziert und das sehr erfolgreich. Bei den Masken, die man z. B. im Schuhhaus Fux in Hainfeld kaufen kann, bekommen wir die Hälfte der Einnahmen. Die Maske kostet 10,- Euro und wir bekommen 5,-. Die Näherinnen sind in der Slowakei. Das ist ein Projekt, für das wir sehr dankbar sind.
Ja, wir haben wenig oder gar keinen Aufwand, und bekommen trotzdem immer wieder Geld aufs Konto, das ist eine schöne Unterstützung.

Aber es wird auch das nicht reichen, um für 12 Monate die Miete zu bezahlen.
Nein, wir benötigen rund 10.000 Euro im Jahr, für Miete und allfällige Reparaturen.
Mir ist jetzt eines klar geworden: Wir haben ja schon länger angefangen Mitglieder zu werben, eine Jahresmitgliedschaft kostet 25,- Euro. Wir haben das zwar immer wieder angeboten, aber es war nicht in unserem Fokus, wir haben das etwas vernachlässigt. Das ist jetzt ein Punkt, an dem man mehr dran sein muss, die Mitgliederbetreuung.
Wir haben jetzt Briefe ausgeschickt und es ist sehr interessant, dass wir gleich am ersten Tag nach dem Versand Mitgliedsbeiträge auf das Konto bekommen haben. Ich habe Anrufe bekommen, E-Mails von Leuten, die sagen, ja es ist gut, was ihr da macht, ich unterstütze euch. Es wurden auch Spenden dazugegeben. Das wird ein Punkt sein, dass wir uns mehr darum kümmern müssen, die Mitglieder zu informieren, damit man weiß, was so geschieht. Als Außenstehender sieht man zwar, ja das Lokal ist noch da, am Nachmittag rennen viele Kinder herum und spielen, aber was tatsächlich passiert, wissen viele nicht. Es ist ein wichtiger Punkt, das mehr zu kommunizieren, um eine breitere Unterstützung und mehr neue Mitglieder zu bekommen.

Gut, dann nehme wir uns vor, dass wir in Zukunft mehr kommunizieren. Das ist jetzt schon mal ein Anfang. Danke für das Gespräch!