Alexandra Eichenauer-Knoll hat die erste Ausstellung des syrisch-kurdischen Künstlers Ammar Mousa in Wien besucht. Hier ihr Text:
Ammar hat mich zu seiner ersten Ausstellung in einem kurdischen Zentrum im 16. Wiener Gemeindebezirk eingeladen. Ich kenne ihn von den Deutschlerngruppen am Klammgruberhof in Hainfeld. Beim Ostermarkt 2023 haben wir mit ihm ein Portraitzeichnen neben unserem Herzverstand-Stand angeboten. Ich habe Ammar immer als sehr feinen und auch ausgleichenden Menschen erlebt, der trotz eigener Probleme stets versucht hat, für andere da zu sein und in die Tristesse am Klammgruberhof auch etwas Schönheit und Würde zu bringen.
Gerne habe ich also seine Ausstellung, die in der letzten Maiwoche 2024 stattfand, besucht. Neben Bildern und Schriftgemälden präsentierte er dort Drahtskulpturen, und diese haben mich wirklich begeistert. Über diese möchte ich daher jetzt schreiben.
Es war auf den ersten Blick dieser Kontrast, der mich berührte. Dünner Eisendraht für Skulpturen, die betonschwere Emotionen ausdrücken. Ammars Themen kreisen zentral um Flucht und das macht sie für mich auch so authentisch. Er zeigt in vielen Arbeiten wohl auch sich selbst, gebeugt, auf einem Koffer sitzend, mit einem riesigen runden Ballastknäuel im Rücken – all seinen Sorgen und Ungewissheiten. Für Ammar bedeutet das konkret vor allem: Wann wird seine Familie endlich nachkommen können? Wann wird er in ein normales Leben starten können? Die Figur mit der Leiter steht symbolisch für einen Menschen, der die Leiter beschwerlich herumträgt, aber sie nicht aufstellen und hochklettern kann.
Die Heimat beschäftigt den Künstler auch in anderen Gestalten: Ich sehe ein liegendes Kriegsopfer mit einem abgeschnittenen Arm, ich sehe gebeugte Menschen, zu alt, um die Heimat noch zu verlassen. Von der Decke baumelt ein Gehängter. Eine dramatische Kritik an den vielen Hinrichtungen im Iran. Er zeigte mir dazu ein Foto eines Mannes, der kurz vor seiner Hinrichtung noch seinem Sohn zulächelt. Wofür entscheidet man sich in seinen letzten Augenblicken? Ammar hat ihm ein Denkmal gesetzt. Ebenfalls von oben schwingt in einem Marmeladeglas, als ginge ihn das alles nichts an, der Präsident des geschundenen Landes Syrien. Dieser ist allerdings aus einem gold eloxierten Aluminiumdraht gewickelt, passend zu seinem Thron, auf den er ja auf keinen Fall verzichten möchte. Koste es, was es wolle!
All der Schwere zum Trotz, trifft man in dieser Ausstellung auch auf Schönheit und Leichtigkeit. Ammar liebt Musik und vor allem Tanz, und so sehe ich kurdische Kreistänzer mit den typischen Tüchern wie auch elegante, europäische Solo- und Paartänzer. Auch eine Figur in der Position des Yoga-Baumes steht unvermittelt da und strahlt positive Energie aus. Wieso Yoga? Ammar praktizierte selbst in seiner Heimat Meditation.
Schönheit und Kunst versus Tod, Flucht und Leid – alles in einem Raum, nebeneinander, gleichzeitig. Die Figuren stehen, liegen oder hängen von der Decke – wie zufällig durchmischt. Das Leben hält uns mit Freud und Leid in Schach und oft nicht so vorausplanbar, wie wir es uns wünschten. Das wissen wir natürlich und das weiß auch Ammar. Nur sein Leben verläuft in wesentlich extremeren emotionalen Achterbahnen wie bei den meisten von uns DurchschnittseuropäerInnen.
Ammar Mousa hat schon in seiner Heimat Ausstellungen und Buchprojekte gemacht, auch gemeinsam mit seiner Frau Zozan Battal. (siehe Nachtrag unten) Als Lehrer für Arabisch ist er auch der Schriftgestaltung und dem Buch sehr zugetan. Er weiß also, wie man ein Konzept für eine Ausstellung entwickelt, alles wirkt durchdacht. Einzig bei der Preisliste fehlte mir das Wichtigste: Es gab zwar zu jeder Arbeit eine Nummer, aber keine dazu passende Preisliste. Dazu schrieb er mir in Nachhinein: „Die syrische Flüchtlingsgemeinschaft kauft keine Gemälde.“ Viel wichtiger waren ihm wohl die abendlichen Kulturgespräche während der Ausstellungswoche im Kreise seiner Community und die Möglichkeit, sich als Mensch und Künstler mit seinen Themen erstmals in Österreich sichtbar zu machen.
Ich wünsche Ammar, dass er irgendwann auch von einheimischen Kunstinteressierten wahrgenommen wird.
Alexandra Eichenauer-Knoll
Nachtrag von Ammar per WhatsApp: „Meine Frau Zozan Battal ist Mathematiklehrerin und bildende Künstlerin, die im Bereich Origami und mit Papier arbeitet. Mein Sohn Sawushka Mousa ist der jüngste kurdische Autor, der im Alter von zehn Jahren ein Buch auf Kurdisch geschrieben hat. Er ist auch ein bildender Künstler. Jeder von uns hat eigene Ausstellungen, und meine Frau, Sawushka und ich haben auch gemeinsame Ausstellungen im Kurdistan-Irak präsentiert, die sich um das Leid der Flüchtlinge drehten.“