Am 20.11.2022 haben sich Alexandra und Franz wieder einmal zusammengesetzt, um über die Entwicklungen im Comedor del Arte zu plaudern. Denn es macht Sinn, gelegentliche Haltepunkte zu setzen, um zu reflektieren und um Entwicklungen in Worte zu fassen. So wird manches auch klarer.
Alexandra: Wir haben für die nächsten Außenauftritte des Comedor del Arte unseren ersten Folder gestaltet, der unsere Arbeit kurz und verständlich vorstellen soll. Wir haben dafür vor allem Fotos ausgesucht, welche die Arbeit mit den Kindern präsentieren. Die Hausaufgabenbegleitung jeden Nachmittag, von Montag bis Freitag, steht ja in den letzten zwei Jahren im Mittelpunkt deiner Arbeit vor Ort.
Franz: Die Arbeit mit den Kindern ist immer wieder bereichernd, sinnstiftend und ein Spaß. Wir haben ein sehr vertrautes Verhältnis, die Kinder erzählen mir sehr viel. Besonders freue ich mich, wenn Fortschritte sichtbar werden, zB bei einem Erstklassler. Vor einer Woche hat er noch jeden Buchstaben einzeln gelesen und jetzt kann er schon die Buchstaben zusammenlauten. Die Kinder sind an die Struktur im Comedor gewöhnt, sie suchen den Kontakt, auch weil sie erkennen, wie sehr ihnen das hilft.
Medial sehr präsent ist der Ukrainekrieg. Wir werden daher immer wieder gefragt, ob wir Kontakt zu UkrainerInnen haben.
Unlängst erst gab es einen Anruf von einer Caritas-Mitarbeiterin aus Klosterneuburg wegen einem ukrainischen Jugendlichen, der in den Klammgruberhof verlegt worden war. Sie war dann auch im Comedor. Bei Bedarf helfe ich natürlich sehr gerne.
Ich habe auch schon dreimal mit einer Deutschlerngruppe für UkrainerInnen angefangen, aber die Leute waren relativ schnell wieder weg. Entweder weil sie weitergezogen sind oder weil sie Arbeit in der Nähe gefunden haben und keine Zeit mehr finden.
Neben der Lernbegleitung leistet der Comedor del Arte aber noch viel mehr und das könnte man gar nicht alles in einen Folder hineinpacken. Es wäre einfach zu verwirrend, oder?
Ja, neben der Arbeit mit den Kindern vor Ort gibt es noch ganz viele unterschiedliche Tätigkeiten, das stimmt. Und dabei vermischt sich das Private und die Arbeit als Leiter unseres Begegnungshauses. Es ist oft gar nicht mehr voneinander trennbar.
Mit Ainullah, der bei uns privat seit über einem Jahr wohnt, habe ich jetzt gerade die 1.000 km für den Führerschein gemacht und war auch bei der Führerscheinprüfung dabei, die er beim ersten Antritt bestanden hat. Ainullah ist inzwischen ein Familienmitglied für uns, aber begonnen hat diese Beziehung, als er 2019 auf der Klammhöhe untergebracht war und zu uns in den Comedor kam mit dem Wunsch Deutsch zu lernen.
Sehr ans Herz gewachsen ist mir auch Mika mit ihrer Familie, die sich gerade anfangs mit so viel Leidenschaft für das Projekt Comedor del Arte eingesetzt hat. Vor kurzem war ich als Zeuge am BVWG geladen. Sie und ihre Familie haben nun endlich, nach neun Jahren, einen Aufenthaltsstatus bekommen. Wir hatten die ganze Zeit Kontakt und sind gemeinsam durch viele Höhen und vor allem viele Tiefen gegangen.
Wir sind inzwischen eine sehr große Familie, die sehr weit verstreut lebt. Ich bin zB auch in Kontakt mit jemanden, der in den Iran zurückgegangen ist. Gerade jetzt, in diesem Ausnahmezustand, ist unsere Solidarität mit den Menschen dort wichtig. Meine iranischen Freunde schreiben: Bitte vergesst uns nicht! Als politisch interessierter Mensch und auch aus Verbundenheit zu den Menschen gehe ich daher auch zu Gedenkveranstaltungen oder zu Demonstrationen. Natürlich auch für die Hazara als besonders verfolgte Gruppe in Afghanistan. So war ich zB bei einer Veranstaltung am Stephansplatz in Wien, wo den Opfern des Anschlags auf eine Schule gedacht wurde. Ich treffe dort immer auch alte Bekannte und lerne neue Leute kennen. Meine Kamera ist immer mit dabei. Dadurch bin ich auch mit verschiedensten Initiativen in Kontakt gekommen, die sich für meine Fotos interessieren.
Ich habe durch lange Gespräche vieles über diese Länder gelernt, vor allem über Afghanistan und den Iran, welche Volksgruppen, wie viele Sprachen gibt es…? Wenn man stundenlang mit den Menschen zusammensitzt und über die Probleme, aber auch über die Schönheiten des Landes spricht, entsteht eine starke Beziehung. Dann bangt man auch mit, mit denen, die noch dort sind oder mit Freunden, die ihre Familie besuchen. In letzter Zeit waren drei afghanische Freunde im Iran und haben dort ihre Familien besucht, es war genau in der Zeit, als die Proteste losgegangen sind. Ich war sehr froh, nachdem sich alle drei wieder zurückgemeldet hatten.
Am 3.11.2022 findet in St. Pölten ein Treffen von #zusammenHaltNÖ statt. Der Verein Herzverstand ist eine von mehreren Initiativen, die diese Einladung mittragen. Wie kam es dazu?
#zusammenHaltNÖ gibt es schon einige Jahre, diese Initiative ist aus der Flüchtlingsbewegung entstanden. Im vergangen Jahr hat der Prozess gegen Landesrat Waldhäusel begonnen, verschiedene Engagierte haben den ganzen Prozess mitverfolgt und aus diesem Anlass auch Protestaktivitäten organisiert. Daraus entstand das Bedürfnis, ein Treffen zu veranstalten, um sich persönlich auszutauschen, die Initiativen mit ihren Anliegen vorstellen und gemeinsame Ziele zu definieren, die wir an die Politik herantragen können. Es gibt ja im ganzen Land engagierte Menschen, aber mit einer Plattform wird man wirkmächtiger. Unsere Anliegen sollen gehört werden!
Die Zivilgesellschaft will also politischen Einfluss bekommen. Das war nicht immer zwingend so. Es gibt ja noch immer Leute, die helfen, aber sich keinesfalls auf politische Diskussionen einlassen möchten.
#zusammenHaltNÖ ist nicht parteipolitisch und wir wollen uns auch nicht von Parteien vereinnahmen lassen. Zurzeit sind wir zehn Vereine mit den unterschiedlichsten Menschen – vom katholischen Missionar bis zu Menschenrechtsaktivisten, die sich für sichere Häfen einsetzen. Seit ca. 2,5 Jahren versucht die Initiative #zusammenHaltNÖ, einen Gesprächstermin bei der NÖ Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner zu bekommen. Es war bislang nicht möglich. Das ist schon einzigartig in NÖ, denn in anderen Bundesländern gibt es in den Bezirkshauptstädten Sprechstunden. Das Argument ist, dass sie ohnehin im Land unterwegs sei. Ehrenamtliche werden zwar auf Veranstaltungen gelobt, das kennt man, aber wir haben ja auch eine Expertise und könnten wertvollen Input liefern. Das wird uns verwehrt. Aufgrund dieser Tatsache, nämlich dass wir kein Gehör finden, ist der Wunsch entstanden, uns breiter in einer Plattform aufzustellen. Wir wollen uns für ein demokratisches und für ein auf den Menschenrechten basierendes Miteinander einsetzen. Wir leben in einer realen Demokratie und können, dürfen und sollen uns artikulieren.