(Deutsch) Gut gemeint, aber irgendwie trotzdem herzlos.

Sorry, this entry is only available in German. For the sake of viewer convenience, the content is shown below in the alternative language. You may click the link to switch the active language.

In der Tageszeitung Der Standard vom 5. – 7.1.2024, ist als Kommentar der anderen auf Seite 42 folgender Artikel erschienen:

„Wie aus Chaos Chance wird“
Von Stephanie Krisper und Yannick Shetty

Der Artikel  ist auch online nachlesbar und hat mich zu folgendem Leserbrief angeregt:

Ich begleite seit nunmehr zehn Jahren ehrenamtlich geflüchtete Menschen, mit Sprachförderungen und diversen Kulturprojekten, die wir als Verein auf die Beine gestellt haben. Gemeinsames, zielorientiertes Tun vermittelt unsere Werte am wirksamsten, fördert Sprachkompetenz und den vielzitierten Integrationsprozess. Ich kann mich daher mit dem Satz „Es ist Zeit für professionelle und kompetente Sachpolitik.“ gut identifizieren. Auch der Ansatz „dass man das Individuum sieht, jeden Menschen nur nach seinem eigenen Handeln beurteilt.“ Und natürlich bin ich auch für Deutsch- und Wertekurse „ab Tag eins“. Die derzeitigen Verordnungen diskriminieren einzelne Nationen, so wird zB Personen aus Afghanistan und Somalia während ihres laufenden Verfahrens, das ja auch mal länger als ein Jahr dauern kann, keine Deutschkursförderung zugestanden. Für mich völlig unverständlich, denn wenn man Asylsuchende individuell betrachtet, gibt es aus allen Ländern bildungsferne und sprachlich hochbegabte Menschen. Ich schenke immer wieder Personen aus Afghanistan, denen ich zutraue, es alleine zu schaffen, neue A1-Bücher. Aber es braucht schon sehr viel eigene Antriebskraft, Strukturiertheit und Selbstlernkompetenz, um so Deutsch zu lernen.

Natürlich bin ich auch für eine Öffnung des Arbeitsmarktes, zB wie in Deutschland in einem Stufensystem, frühestens nach drei bis spätestens für alle nach neun Monaten, denn nichts wollen die Menschen lieber als rasch auf eigenen Füßen stehen, so wie sie es aus ihren Herkunftsländern ohne Prädikat Sozialstaat ohnehin gewohnt sind. Und Menschen brauchen eine Perspektive.

In diesem Absatz des Artikels befremdet mich allerdings ein Satz der beiden Experten für Asyl, Migration und Integration: „Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird geöffnet, das verhindert ein Abdriften in Kriminalität oder Radikalisierung.“ Entweder Kriminalität oder Radikalisierung, ist das alternativlos? Welche Feindbilder, von denen man sich doch zu distanzieren meint, werden damit insinuiert? Gibt es dafür wirklich seriöse, statistische Belege? Aus meiner persönlichen Erfahrung sind das jedenfalls nicht die zwei gravierendsten Folgen eines verunmöglichten Arbeitsmarktzugangs für gerade erst in Österreich angekommene Personen. Da fehlen doch zwei wichtigere Argumente, die auch volkswirtschaftlich relevant sind, weil sie uns mit Kosten bzw. mangelnden Einnahmen belasten.

Erstens suchen sich die Menschen illegale Arbeit, sofern sie ihnen geboten wird, womit dem Staate Steuereinnahmen entgehen und somit auch für Zugewanderte das System Pfusch zum Normalzustand wird. Und Betroffenen sind immer wieder systematischer Ausbeutung ausgesetzt. Ich denke allerdings nicht, dass die Autoren dieses Phänomen mit der von ihnen angesprochenen Kriminalität meinten, denn sonst würden sie ja im Umkehrschluss auch alle Österreicher/innen, die pfuschen, und deren österreichische Auftraggeber/innen als Kriminelle bezeichnen. Und das ist doch politisch heikel.

Persönlich, und damit komme ich zum zweiten, erlebe ich aber vor allem eine andere Folge der Untätigkeit: Depression. Es ist wirklich ein Jammer, wenn Menschen, die nach einer anstrengenden, gefährlichen Flucht nach Österreich kommen, und entsprechend viel Adrenalin in sich gebunkert haben, danach abrupt zur Untätigkeit verdammt werden, im schlechtesten Fall fernab der Stadt in Abgeschiedenheit. Das untätige Warten führt zu Gedankengrüblereien, ungewöhnlicher Müdigkeit untertags, Schlafstörungen in der Nacht, diffusen Kopfschmerzen, Konzentrationsmangel bis hin zu Depression. Auch krankhafte Essstörungen können eine Folge von zu lang andauernden Verfahren sein. Für die Allgemeinheit entstehen Kosten durch Arztbesuche und Medikamente. Gut, dass es diese Möglichkeiten gibt, aber schlimm, wenn sie vermeidbar gewesen wären. Die Menschen verlieren den Elan der ersten Monate, stumpfen ab und verstehen oft selbst nicht, was mit ihrer Psyche passiert.

Wenn wir geflüchtete Menschen fair und wertschätzend behandeln, und nicht a priori als Kriminelle und Sozialschmarotzer verdächtigen, wäre es volkswirtschaftlich für alle ein Gewinn. Das meine ich – nicht aus Naivität, sondern aus meiner persönlichen Erfahrung.

Mit freundlichen Grüßen,

Alexandra Eichenauer-Knoll
Obfrau Verein Herzverstand, Hainfeld